3. Juni 2012

Ein Kapitän geht von Bord

Diesen Sommer habe ich nach acht Jahren in der 1. Bundesliga meine sportliche Karriere beendet. Zeit zurückzublicken und ein kleines Fazit zu ziehen…

Die Weichen für eine Zukunft im Sport wurden bereits mit der Entscheidung für das Sportgymnasium gestellt. Bereits als Fünftklässler lernte man den Spagat zwischen Schule, Training und Hausaufgaben zu bewältigen und zu organisieren. Wer nicht zielstrebig und ehrgeizig war, ein gewisses Organisationstalent hatte und sich wirklich durchbeißen wollte blieb auf der Strecke.

Im Alter von 17 Jahren ging ich für ein Jahr auf das Internat in Berlin um dort mit der Junioren-Nationalmannschaft in der 1.Liga zu spielen. Danach folgte der Wechsel zurück nach Schwerin, es galt in der 1. Bundesliga-Mannschaft Fuß zu fassen und sich auf das Abitur vorzubereiten. Schulisch und sportlich klappte das die nächsten zwei Jahre ausgesprochen gut, sodass ich auch nach dem Abitur unbedingt weiterspielen wollte.

Als gebürtige Schwerinerin hatte ich das große Glück bereits von klein auf im erfolgreichsten Verein im deutschen Frauenvolleyball zu spielen. Also stand für auch der Wechsel zu einem anderen Verein nicht zur Debatte. Durch ein Bachelor-Studium am Baltic College ließ sich auch mein Wunsch nach einer hochwertigen parallelen Ausbildung realisieren. An das Studium schloss sich dann noch eine Werkstudententätigkeit und eine Weiterbildung im Sportmanagement an, denn „nur“ Volleyballspielen wollte ich nie. Mir war von Beginn an wichtig, auch an die Zeit nach meiner aktiven Sportlaufbahn zu denken.

In der gesamten Zeit habe ich so viel erlebt und gesehen wie viele Menschen in ihrem ganzen Leben nicht. Allein deshalb hat es sich schon gelohnt. Ich habe unwahrscheinlich viele nette und interessante Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt. Ich habe mit Japanerinnen, Amerikanerinnen und Brasilianerinnen zusammen gespielt und viele Freunde gefunden. In ganz Europa waren wir zu Spielen und Trainingscamps unterwegs.

So habe ich in Baku vor 3.000 schwarz gekleideten Männern gespielt und bin die chinesische Mauer entlang gewandert.

Als Kapitän durfte ich mehrmals die Meisterschale in Empfang nehmen und habe vor 11.000 Zuschauern in Halle/Westfalen den Pokal gewonnen. Auf Clubebene durfte ich gegen einige der besten Mannschaften der Welt in der Championsleague spielen. All das sind unbeschreibliche Erlebnisse, Erlebnisse die man sich nicht kaufen kann.

Das, was all diese Dinge noch viel schöner macht, ist, sie als Teil einer Mannschaft zu erleben. Man verbringt so wahnsinnig viel Zeit miteinander auf Reisen, in Hotels oder beim Training. Man vertraut und respektiert sich, hilft sich gegenseitig, arbeitet für ein und dasselbe Ziel und hat viel Spaß zusammen. Für die Dauer einer Saison ist die Mannschaft deine „Ersatzfamilie“.

Wie alle Sportler habe auch ich lernen müssen, mit Druck umzugehen (insbesondere natürlich, wenn man in Schwerin spielt und jedes Jahr ein Titelgewinn erwartet wird) und Verantwortung zu übernehmen. Auch das man manchmal seinen Kopf hinhalten muss, wenn es nicht läuft und allen Rechenschaft schuldig ist, gehört dazu. Ebenso wie die Fähigkeit, sich nach Verletzungen in Geduld zu üben und sich nach Rückschlägen wieder aufzurappeln. Auf der anderen Seite erfährt man durch den Leistungssport auf höchster Ebene natürlich auch eine unglaubliche Wertschätzung und Anerkennung durch die Zuschauer und die Öffentlichkeit. Es war immer eine Ehre für mich, den Verein zu repräsentieren.

Um im Sport erfolgreich zu sein, muss man bereit sein, alles andere hinten anzustellen und unterzuordnen, das habe ich gern gemacht. Nicht jeder hat das Glück, so viel Verständnis und Unterstützung von seinen Eltern zu erfahren.

Auch mein langjähriger Freund und bald nun auch Ehemann hat sich sechs Jahre lang dem Volleyball klaglos untergeordnet. Seit einiger Zeit merke ich, dass ich das nicht mehr möchte. Andere Dinge wie die berufliche Perspektive oder das Privatleben sind mit der Zeit wichtiger geworden. Die Zeit für mich ist gekommen, dass ich nicht mehr jedes Wochenende unterwegs sein möchte, jeden Tag trainieren mag und bereit bin, mich selbst zu quälen. Außerdem habe ich so viel erreicht. Mit dem Doublegewinn diese Saison kann ich mir gar keinen besseren Abschied wünschen. Es war eine wahnsinnig tolle und sehr intensive Zeit, die mir viel gegeben und mich geprägt hat. Doch jetzt freue ich mich auf neue Herausforderungen!

Julia Retzlaff
Abiturientin  am Sportgymnasium 2007, seit der Saison 2008/09 Kapitän der Volleyball- Bundesliga-Mannschaft der Damen des Schweriner SC

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